Gewissenhaftigkeit

 thrangu rinpoche

Ehrwürdiger Khenchen Thrangu Rinpoche

Unterweisungen zum 4. Kapitel des "Bodhicharyavatara" von Shantideva

Ich freue mich sehr, hier zu sein und alle zu sehen, und ich freue mich sehr, dass wir gemeinsam das vierte Kapitel des "Bodhicharyavatara - Der Weg des Bodhisattva" betrachten werden. Bevor wir jedoch beginnen, werde ich das "Liniengebet der Dagpo Kagyu" auf Tibetisch rezitieren und Sie bitten, die Haltung des Bodhcitta zu entwickeln.

Der "Weg des Bodhisattva" wurde von dem großen Meister Shantideva verfasst, der eine ausgezeichnete Persönlichkeit war und außergewöhnliche Lehren präsentierte. Es gibt eine Geschichte hinter der Komposition des "Weges des Bodhisattva", die ich mit Ihnen teilen möchte.

Shantideva lebte an der glorreichen Nalanda-Universität in Indien und praktizierte immer allein und für sich. Für andere sah es so aus, als wäre er faul, denn es schien, als würde er überhaupt nichts tun. Deshalb nannten ihn alle anderen Gelehrten und gelehrten Mönche, die im Kloster lebten, Buksuku, was "der faule Mönch, der herumhängt und nichts weiß" bedeutet. Sie waren alle der Meinung, dass es sich für ihn nicht geziemte, im Kloster zu bleiben, weil die dort Lebenden entweder fleißig praktizieren oder die Texte studieren sollten, damit sie gelehrt würden, aber einfach nur herumzuhängen, faul zu sein und nichts zu tun, entsprach nicht den Regeln. Sie überlegten, wie sie ihn mobben könnten, damit er das Kloster verließ, und beschlossen, eine Lehrsituation zu schaffen, in der er den Dharma lehren müsste. Sie waren überzeugt, dass er scheitern würde und sie dann einen Grund hätten, ihn zum Verlassen zu zwingen. Sie setzten ihren Plan in die Tat um und luden eine große Menschenmenge zu der Versammlung ein. Sie verkündeten allen: "Heute wird Buksuku lehren, aber kann er es auch?"

Sie stellten einen hohen Thron für das Ereignis auf. Als Shantideva aufstand, um sich zu setzen, dachten die Zuhörer: "Oh, er spielt wirklich den großen Macker. Wie wird das wohl sein?" Shantideva fragte sie: "Wollt ihr, dass ich etwas lehre, das bereits gelehrt wurde, oder etwas Neues?" Die Versammelten dachten, es wäre demütigender für ihn und forderten einstimmig: "Oh nein, du sollst etwas lehren, was wir noch nicht gehört haben." So blieb Shantideva auf dem Thron sitzen und gab die Unterweisungen, die uns im "Bodhicharyavatara" überliefert wurden. Er trug diese Unterweisungen in Form von Versen vor, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern und ohne jemals in der Rede zu stocken. Als er das neunte Kapitel erreichte, das sehr berühmte Kapitel über Prajna, "transzendente Weisheit" - das den eigentlichen Sinn dessen beschreibt, was ist und was nicht ist, was existiert und was nicht existiert -, schwebte er in den Himmel hinauf, verschwand aus dem Blickfeld der Versammlung, und doch konnte man aus dem All seine Stimme hören, wie er die Unterweisungen zum neunten Kapitel des "Weges des Bodhisattva" vortrug.

Unter diesen bemerkenswerten Umständen begann Shantideva mit dem ersten Kapitel und sprach über den Nutzen und die Vortrefflichkeit des Strebens nach Erwachen, Bodhicitta, dem Streben nach Erleuchtung zum Wohle aller Wesen. Im zweiten und dritten Kapitel lehrte er über das Gelübde eines Bodhisattvas durch Bekenntnis und die Wege, das Gelübde des Bodhicitta durch Hingabe zu halten. Das sind die ersten drei Kapitel, die er lehrte, im Wesentlichen die Bedeutung von Bodhicitta und die Relevanz der altruistischen Haltung. Und der Grund, warum dieses Thema so wichtig ist, liegt darin, dass wir im Allgemeinen in dieser Existenz und auf der Erde alle zusammen leben und gemeinsame Anliegen haben. Deshalb sollten wir die Zeit, die wir miteinander verbringen, gut, glücklich und nützlich gestalten. Wenn wir jedoch unsere Gefühle wie Wut, Stolz, Eifersucht, Hass usw. ausleben, verletzen wir uns gegenseitig. Eine verletzende und böswillige Einstellung zueinander bringt alle Arten von Leid mit sich - sie lässt andere leiden und fällt auf denjenigen zurück, der feindselige Gefühle hegt, und dann leiden sowohl das Opfer als auch der Verursacher. Wie kann man eine solche Situation, solches Leid vermeiden? Indem man eine gute Einstellung entwickelt, eine positive und hilfsbereite Einstellung und eine edle Haltung gegenüber anderen. Wenn man diese Motivation und Absicht hat, dann hat man den altruistischen Geist, anderen zu helfen, und kann das auch tatsächlich. Wir müssen versuchen, eine gute Einstellung zu allen Lebewesen zu haben und so gut wie möglich zu helfen. Das Wichtigste ist also, eine positive und altruistische Einstellung gegenüber anderen zu haben.

Die altruistische Einstellung ist sehr gut, aber sie allein reicht nicht aus. Zwei Qualitäten des Bodhicitta sind erforderlich, damit es wirksam ist. Die erste heißt "sich mit Mitgefühl auf andere konzentrieren", an alle fühlenden Wesen denken und niemanden ausschließen, eine Haltung der Sanftmut und Hilfsbereitschaft haben, an das Wohl der anderen denken, zuallererst an das Wohl der anderen denken. Das ist also die erste Eigenschaft von Bodhicitta, das Bewusstsein für andere.

Die zweite Eigenschaft oder Qualität von Bodhicitta, die benötigt wird, ist transzendente Intelligenz oder Prajna. Obwohl das Mitgefühl für alle anderen äußerst wichtig ist, kann es ohne die Geschicklichkeit der Weisheit nicht wirklich nützlich sein, d.h. es gibt kein verlässliches Gut, wenn die Motivation nicht die Fähigkeit hat, es angemessen zu verwirklichen. Bodhicitta muss also das beinhalten, was "die Weisheit der Erleuchtung", "die Weisheit der vollkommenen Buddhaschaft" genannt wird. Wenn man Mitgefühl mit Weisheit verbindet, wird man tatsächlich mit der Fähigkeit und den Mitteln ausgestattet, heilsame Ergebnisse herbeizuführen. Mitgefühl in Verbindung mit Weisheit bedeutet, dass man in der Lage ist, andere zu einem Zustand des vollkommenen und vollständigen Glücks zu führen, was der ultimative Zustand der Erleuchtung ist. Das ist der wahre Weg zum Nutzen der Wesen. Ohne die Weisheit der transzendenten Intelligenz gibt es nicht die Fähigkeit, dauerhaftes und zuverlässiges Glück zu bringen. Dies sind die beiden Bestandteile von Bodhicitta, der erwachten Haltung.

Wir bringen also erstens den Gedanken der Erleuchtung hervor, den Gedanken, allen Wesen zu nützen, und haben daher die gute Motivation und Absicht. Aber das allein reicht nicht aus, denn dann ist es notwendig, diese Absicht auszuführen; es reicht nicht aus, nur den Wunsch zu haben, Gutes zu tun. Um diese aufrichtige Motivation zu unterstützen und zu verstärken, präsentierte Shantideva die Lehren über das Gelübde eines Bodhisattvas, darüber, wie man das Versprechen ablegt und es als festen Bestandteil des eigenen Lebens etabliert. Das Gelübde eines Bodhisattvas bedeutet, zu versprechen: "So wie ich mir wünsche und den Wunsch erzeuge, allen Wesen zu helfen, gelobe ich jetzt, dies zu tun. Ich verspreche, mich so viel wie möglich anzustrengen, bis alle Wesen im vollständigen Erwachen sind, und nicht faul zu sein, bis dieses Ziel erreicht ist." Diese Überzeugung in eine Verpflichtung umzuwandeln, verankert die Motivation fest im eigenen Leben und macht sie zu einer Handlung.

Manche Menschen denken vielleicht, dass es schwierig ist, spontan zu wünschen, allen Wesen zu nützen, oder sie zögern, obwohl sie den Wunsch haben, das Gelübde abzulegen, die wohlwollende Motivation als Verpflichtung in ihrem Leben zu etablieren. Es gibt eine Praxis, die "Geistestraining" genannt wird, lo-jong auf Tibetisch, die darin besteht, dass wir unsere Einstellung durch spezifische Visualisierungstechniken bearbeiten und uns dabei auf den Atem konzentrieren. Wenn wir uns auf die Ausatmung konzentrieren, denken wir, dass wir all unser Glück und unser gutes Karma ausnahmslos an alle Wesen weitergeben, und wenn wir uns auf die Einatmung konzentrieren, denken wir, dass wir all das Leid, den Schmerz und die Untugendhaftigkeit aller Wesen aufnehmen. Indem wir diese Praxis durchführen, bereiten wir uns darauf vor, die Lehren über "Geben und Nehmen", tong-leng auf Tibetisch, zu empfangen. Indem wir tong-leng praktizieren, entwickeln wir allmählich ein Gefühl dafür, exzellentes Bodhicitta entstehen zu lassen; die Praxis befähigt uns auch dazu, mit Freude die Gelübde abzulegen und die Verpflichtung einzugehen, aufrichtig zum Wohle anderer zu arbeiten. Die Lo-jong-Geistesschulung ist die Praxis, die Haltung und Motivation des Bodhicitta zu entwickeln, während tong-leng den Wunsch, die Gelübde zu nehmen, intensiviert. Traditionell legt man die Gelübde in einer formellen Zeremonie mit einem spirituellen Meister ab. Es ist aber auch in Ordnung, es selbst zu tun. In diesem Fall visualisiert man, dass alle Buddhas und Bodhisattvas der zehn Richtungen und drei Zeiten anwesend sind und man legt das Gelübde vor ihnen ab. Das dritte Kapitel von "Der Weg des Bodhisattvas" bietet die spezifische Liturgie für das Ablegen des Gelübdes eines Bodhisattvas.

Dann stellt Shantideva die Art und Weise vor, wie man die Gelübde einhält, wenn man sie einmal abgelegt hat, wie man sie schützt und nicht bricht, was durch das geschieht, was "die zwei Freuden" genannt wird, die eigene Freude und die Freude der anderen. Zunächst konzentriert man seinen Geist auf die Tatsache, dass man das Glück hat, die Bodhisattva-Gelübde überhaupt ablegen zu können, was bedeutet, dass man sich über sein eigenes großes und gutes Glück und Verdienst freut. Zweitens konzentriert man seinen Geist auf andere und sieht, dass sie bisher keine Zuflucht hatten, dass sie keine Erleichterung von ihren Leiden und Schmerzen erfahren haben, aber jetzt legen sie auch die Bodhisattva-Gelübde ab und beschließen gemeinsam mit uns: "Ich werde den Wesen helfen können." Auf diese Weise freuen sie sich, und du freust dich, dass es schließlich geschehen wird. Das sind also die beiden Meditationen oder freudigen Kontemplationen.

Reicht es aus, das Bodhisattva-Versprechen abzulegen? Nein, es reicht nicht aus, diese Verpflichtung einzugehen. Ist es ein großes Glück, diese Gelübde abzulegen? Ja, man hat großes Glück, aber das allein reicht nicht aus. Nachdem man das Streben am Anfang geweckt und das Gelübde in der Mitte abgelegt hat, muss man noch dafür sorgen, dass es nicht nachlässt oder verloren geht, dass es nicht nachlässt, sondern immer mehr wächst. Um das Versprechen zu vergrößern, muss man es ständig weiterentwickeln und daran arbeiten, was nicht nur für einen selbst von großem Nutzen ist. Wenn das Versprechen nicht weit ausgedehnt wird und nicht alle Wesen einschließt, wird es nicht helfen. Nur das Ablegen der Gelübde, nur das Hervorbringen des Gedankens wird den fühlenden Wesen nicht helfen. Man muss tatsächlich weiter daran arbeiten, damit man anderen tatsächlich helfen kann. Die beiden Aspekte heißen also "aufrechterhalten" und "verstärken oder vergrößern".

Wie kann man das Bodhisattva-Engagement aufrechterhalten und verstärken? Was können wir tun, damit die Motivation nicht nachlässt, in keiner Weise nachlässt, sondern weiter zunimmt und immer mehr wächst? Das ist das Thema des vierten Kapitels, das den Titel "Gewissenhaftigkeit" oder "Achtsamkeit" trägt, fast wie "Aufmerksamkeit", d.h. auf das Engagement zu achten und sich dessen sehr bewusst zu sein. Das vierte Kapitel über Gewissenhaftigkeit ist in drei Abschnitte unterteilt: Der erste Abschnitt trägt den Titel "Das, was zu vollbringen ist" und befasst sich mit dem eigentlichen Training, um sich selbst zu nützen, um die reine Motivation vollbringen und erreichen zu können. Der Vers über das Training dessen, was zu erreichen ist, lautet,

"Die Kinder des Eroberers, die so
Dieses Bodhicitta fest ergriffen haben
sollten sich niemals von ihm abwenden
sondern immer danach streben, seine Disziplin zu halten.".
Shantideva, Der Weg des Bodhisattva. Übersetzt von der Padmakara Translation Group. Vorwort des Dalai Lama, Shambhala, Boston & London, 2003, S. 54. Das 4. Kapitel in dieser Version wird mit "Gewahrsein" übersetzt.

Kind des Buddha (d.h. "Kinder des Eroberers") wird als Kind eines Königs interpretiert, als jemand, der schließlich König werden wird. Kind des Buddha bedeutet, dass du schließlich ein Buddha werden wirst, der den Wesen wahrhaftig nützen kann, was du versprochen hast zu tun. Wenn du Bodhicitta entwickelt und die Gelübde abgelegt hast, bist du ein Kind des Buddha, denn du hast versprochen, ein Buddha zu werden, um den Wesen zu nützen. Wenn du ein Kind des Buddha geworden bist, was musst du dann tun? Niemals nachlassen oder sich von dieser Verpflichtung abwenden, niemals Ablenkungen nachgeben oder das Training vernachlässigen, sondern fleißig danach streben, die Verpflichtung sorgfältig einzuhalten und nicht zu übertreten.

Nun kann es vorkommen, dass man die Verpflichtung eingeht und die Gelübde ernst nimmt, später aber an seinen Schritten zweifelt und denkt: "Oh, ich habe es mir nicht wirklich gut überlegt. Vielleicht habe ich einen Fehler gemacht und werde mich einfach nicht daran halten, weil ich nicht an alle Aspekte gedacht habe. Das kann passieren - manchmal passiert es sogar. In Bezug auf den Bodhicitta-Gedanken sollte das aber nicht passieren, denn alle Buddhas und Bodhisattvas der Vergangenheit haben sich damit befasst, haben gesehen, wie wichtig es ist, und haben es als den entscheidenden, wichtigsten Aspekt der spirituellen Entwicklung erkannt. Wir können uns auf ihre Untersuchungen verlassen und brauchen nicht zu denken, dass wir es nicht gut genug geprüft haben. Außerdem hat man wirklich die richtige Entscheidung getroffen und hatte die richtige Einstellung, es zu prüfen, sonst hätte man es nicht getan. Der erste Gedanke war richtig. Wenn Sie es jetzt prüfen und darüber nachdenken, werden Sie sehen, dass es die beste Entscheidung war. Prüfen Sie es und studieren Sie die Anweisungen zum Gelübde. So überwindest du zweifelnde Gedanken wie: "Nun, vielleicht ist es wie bei anderen Entscheidungen, die ich in der Vergangenheit getroffen habe, und ich habe einen Fehler gemacht." Die Bodhicitta-Verpflichtung ist keine schlechte Entscheidung, wie andere Entscheidungen im Leben. Deshalb brauchen wir uns nicht wirklich zu wundern oder zu zweifeln, wenn wir sie einmal getroffen haben. Aber für den Fall, dass dies geschieht, sollten wir es aus einer anderen Perspektive betrachten:

Wenn man das Gelübde abgelegt hat und davon abfällt, dann ist das sehr schädlich. Wenn Sie zum Beispiel einen streunenden Hund füttern, der an einem Tag durch Ihre Tür kommt, wird er wahrscheinlich am nächsten Tag wiederkommen. Sie füttern den Hund am dritten Tag und an den folgenden Tagen weiter, aber eines Tages beschließen Sie: "Nun, ich werde diesen Hund nicht mehr füttern." Das Leid und die Enttäuschung, die Sie dem armen Tier damit zufügen, sind enorm, denn der Hund erwartet, dass er gefüttert wird, er hat Hunger und ist enttäuscht und traurig. Sie fügen dem Hund, der sich daran gewöhnt hat, Ihre Hilfe anzunehmen, weil Sie ihm im Grunde versprochen haben, ihn jeden Tag zu füttern, so viel körperlichen Schaden zu. So ist es auch mit dem Gelübde eines Bodhisattvas: Wenn du das Gelübde ablegst und dich verpflichtest, allen fühlenden Wesen zu helfen, wenn du versprichst, sie vor Leid und Schmerz zu bewahren, ihnen dauerhaftes Glück zu bringen - egal ob nur ein, zwei, hundert oder tausend Wesen, alle, alle fühlenden Wesen - du hast versprochen, ihnen allen dauerhaftes Glück zu bringen. Stellen Sie sich vor, wie enttäuscht sie sein werden, wenn Sie sich abwenden!

Es ist äußerst nützlich, das Streben zu wecken, das Gelübde abzulegen und es zu halten. Du musst es aufrechterhalten und darfst es nicht schwächen, denn es ist ein großer Fehler, es loszulassen. Man könnte denken: "Okay, ich habe das Bestreben und das Versprechen gegeben, und manchmal wird es ein wenig schwächer, aber ich kann es immer wieder erneuern. Das Bodhicitta-Gelübde ist ziemlich mächtig, es hat so viel Kraft, und deshalb ist es in Ordnung, es später wieder zu erneuern. Lass es verfallen und ich werde es später wieder auffrischen." Eine solche Haltung ist nicht in Ordnung. Warum? Weil es ein sehr langer Prozess sein wird; du wirst nie in der Lage sein, dein Ziel zu erreichen, weil du immer zwischen dem Reparieren, dem Zerbrechen, dem Reparieren und dem erneuten Zerbrechen hin- und herpendeln wirst. Ihr müsst also damit weitermachen.

Das war das erste Thema der Gewissenhaftigkeit, nämlich der Gedanke: "Ich muss das wirklich tun. Ich werde es vollenden. Bis es vollendet ist, bis zum Ende, werde ich mich weiter anstrengen. Man legt das Gelübde in der Absicht ab, es zu vollenden. Das ist das erste Thema.

Im zweiten Punkt des vierten Kapitels geht es darum, sich des Gelübdes bewusst zu sein, indem man an die besondere Gelegenheit denkt, den Körper zu haben, der die Stütze des Bodhicitta ist. Wir haben wirklich sehr, sehr viel Glück, eine menschliche Geburt, ein menschliches Leben zu haben, und wir sollten daher wirklich daran arbeiten, sein Potenzial, das Bodhicitta ist, zu erfüllen und es durchzuziehen. Wenn wir das nicht schaffen, haben wir beim nächsten Mal vielleicht nicht mehr so viel Glück. Auf welche Weise haben wir Glück? In dreierlei Hinsicht: Erstens ist es ein großes Glück, ein menschliches Leben zu haben, aber nur ein menschliches Leben zu haben, reicht nicht aus, denn viele Menschen können als Menschen geboren werden und es passiert nichts besonders Gutes. Es ist nicht nur ein Glück, als Mensch geboren zu werden, um sein Potenzial zu erfüllen, sondern es müssen auch Buddhas in dem Äon unseres Lebens erschienen sein. Außerdem muss ein Buddha den Dharma gelehrt haben, der ebenfalls verfügbar sein muss. Ohne die Lehren wäre es unmöglich, ein sinnvolles Leben zu führen. Eine dritte Eigenschaft, die erforderlich ist, ist der Glaube und das Vertrauen in die Lehren. Was nützt es, als Mensch geboren zu sein und nicht als Hund oder anderes Tier, wenn die Lehren verfügbar sind, wenn man kein Vertrauen in sie hat? Viele Menschen in der Welt sind nicht im Geringsten an den Lehren interessiert, sind desinteressiert daran, auf einem spirituellen Weg voranzukommen, und viele sind sogar feindselig gegenüber den Anweisungen, die ihnen den Weg zeigen könnten; sie sind nicht einmal inspiriert, sich auf eine spirituelle Praxis einzulassen und segeln mit dem Leben weiter, das keinen Gebrauch von der kostbaren menschlichen Geburt macht. Es muss also ein Buddha erschienen sein, die Lehren müssen verfügbar sein, und man muss sich als Mensch inspiriert fühlen, die kostbaren Lehren zu nutzen. Das sind die drei notwendigen Voraussetzungen, um zur Buddhaschaft zu gelangen. Und diese drei Bedingungen müssen zusammenkommen. Es ist sehr, sehr selten, dass sie zusammenkommen. Eine Bedingung ist nicht genug, zwei sind nicht genug - alle drei müssen vorhanden sein. Nur wenn alle drei Bedingungen gegeben sind, nur dann ist es möglich, sowohl den eigenen Nutzen als auch den der anderen zu erreichen. Das ist sehr, sehr selten. Jetzt ist die Zeit dafür. Zu denken: "Na ja, vielleicht wird es in der Zukunft wieder passieren" ist nicht gut, denn es muss nicht unbedingt der Fall sein. Es ist sehr, sehr selten. Jetzt ist es also an der Zeit, diese drei Bedingungen voll auszunutzen. Ausgehend davon, dass man diesen Körper, diese Situation jetzt hat, muss man das Beste daraus machen", das ist sehr wichtig.

Man muss sich wissentlich anstrengen, sich mit Fleiß einsetzen. Langsam fleißig zu sein, funktioniert nicht. Man muss wirklich sein Bestes geben, denn jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Chance - heute ist man nicht krank, heute hat man die Fähigkeiten, heute ist man genährt. Man weiß nie, was morgen oder nächstes Jahr passieren wird, denn nichts ist jemals endgültig oder sicher. Setzen Sie sich also jetzt ein, solange Sie diese drei wertvollen Stützen haben.

Deshalb ist es so wichtig, Gewissenhaftigkeit und Vorsicht walten zu lassen, aufmerksam zu sein, sich nicht zu entspannen und nicht nachlässig zu werden. Wenn du den Dharma nicht praktizierst, wenn du dich nicht spirituell entwickelst, dann wirst du zum Zeitpunkt des Todes, wenn du denkst, dass du wieder die Chance bekommst und nicht praktiziert hast, nicht die Chance bekommen, wieder die menschliche Form anzunehmen. Wenn du dann keine menschliche Form annimmst, sondern als Katze, Hund oder als ein anderes Tier geboren wirst, wirst du nicht wissen, wie du Bodhicitta hervorbringen kannst, du wirst nicht in der Lage sein, Tugend zu praktizieren, du wirst nicht in der Lage sein, Meditation zu praktizieren, du wirst nicht in der Lage sein, Mantras und Gebete zu rezitieren, du wirst nicht in der Lage sein, Bodhicitta zu entwickeln. Was werden wir tun können? Was werden wir wie eine Katze oder ein Hund wissen können? Ihr werdet wissen, wie man stiehlt, ihr werdet wissen, wie man tötet, ihr werdet wissen, was Aggression ist, ihr werdet wissen, was Stolz ist, was Eifersucht ist, all diese Dinge ", das ist es, was ihr tun werdet, das ist es, wonach euch der Sinn steht. Es ist also besser, jetzt Gutes zu tun, den Dharma zu praktizieren, das Bodhisattva-Gelübde aufrechtzuerhalten und gewissenhaft und aufmerksam zu bleiben. Das ist der zweite Punkt des Verses: Gewissenhaft zu sein im Hinblick auf die eigene kostbare menschliche Geburt. Diese ersten beiden Teile, insbesondere der erste Teil, der sich darauf bezieht, was zu praktizieren und zu vollbringen ist, wird im Text ausführlicher beschrieben, aber das war der Kern der Aussage. Es gibt auch mehr Details darüber, wie man gewissenhaft ist, indem man die kostbare Gelegenheit einer menschlichen Geburt in Betracht zieht, in diesem Buch.

Der dritte Punkt in diesem Kapitel befasst sich mit der Entwicklung von Gewissenhaftigkeit und Aufmerksamkeit durch Kontemplation dessen, was aufgegeben und beseitigt werden muss, nämlich nicht mit Emotionen, neurotischen Emotionen, zu reagieren.

Die Handlungen von Emotionen wie Wut, Hass, Leidenschaft, Begierde, Stolz und Eifersucht werden im Sanskrit klesha genannt und sind neurotische Leidenschaften, die als unsere Feinde betrachtet werden müssen. Du denkst: "Ich bin wie ein Diener dieser Emotionen. Wenn ich wütend bin, dann tue ich einfach, was die Wut mir diktiert. Wenn es Eifersucht ist, dann bin ich ein Diener dieser Emotion. Ich bin eine Beute meiner eigenen neurotischen Emotionen." Wie ist das möglich? Normalerweise folgt man einem großen Führer oder Helden. Diese Emotionen sind nicht heldenhaft, sie sind nicht mutig, clever oder klug. Sie sind nichts, dem man tatsächlich folgen würde, und doch macht man einfach weiter, was immer sie einem sagen. Nicht nur das, sie verursachen nur Leid und Schmerz. Fragen Sie sich: "Warum folge ich ihnen?" Denken Sie darüber nach und beschließen Sie: "Diese Feinde müssen einfach verschwinden."

Denken Sie darüber nach und fragen Sie sich: "Warum bin ich so geduldig mit ihnen, obwohl diese leidvollen Emotionen so viel Schaden und Leid verursachen? Es ist, als ob ich über Geduld meditieren würde. Ich denke, dass Nachsicht meine große Tugend ist, und doch bin ich so geduldig mit den Emotionen. Das ist sinnlose Geduld. Dies ist eine sinnlose Bestätigung der Geduld. Das ist schlecht für mich. Es ist die falsche Geduld. Warum sollte ich mit etwas so Schädlichem geduldig sein? Wenn ich nicht in der Lage bin, wirklich geduldig zu sein und Geduld für einen menschlichen weltlichen Feind zu entwickeln, wie kann ich dann mit einem kleinen Fehler umgehen?" Ein Mensch kann dir keine Wiedergeburt in der Hölle bescheren, kann nicht dein Feind sein, aber deine Gefühle haben die Macht, dir im schlimmsten Moment wirklich Schmerz und Leid zuzufügen. Sei also nicht geduldig und nähre diese neurotischen Emotionen. Bekämpfen Sie sie. Bitte kontemplieren Sie auf diese Weise.

Und nicht nur das. Wenn Sie darüber nachdenken, kann ein menschlicher Feind, ein gewöhnlicher Feind, Ihr Feind sein und Ihnen vielleicht ein oder zwei bis fünf oder zehn Jahre lang Schwierigkeiten bereiten, aber diese reaktiven Emotionen sind nicht so. Diese reaktiven Emotionen begleiten uns seit anfangsloser Zeit, sie waren unsere Feinde bis in die Gegenwart, und sie werden bis zur Erleuchtung unsere Feinde sein. Sie sind langfristige Feinde.

Und nicht nur das. Was einen menschlichen Feind betrifft, so hat man vielleicht eine Zeit lang Meinungsverschiedenheiten oder Disharmonie mit anderen, aber nach einer Weile kann man ein wenig darüber reden, vielleicht ein paar Geschenke machen oder sich entschuldigen. Man kann sich mit menschlichen Feinden anfreunden, man kann die Feindseligkeit umkehren und die Geschichte erklären, dass man einen Fehler gemacht hat, und so weiter. Langsam kann man die Situation, einen Feind im menschlichen Bereich zu haben, ändern und Freunde werden. Aber bei reaktiven Emotionen ist das nicht möglich. Je mehr man versucht, sich mit reaktiven Emotionen anzufreunden, desto schlimmer werden sie. Mit neurotischen Emotionen kann man keine Freundschaft schließen.

Solange Sie mit neurotischen Emotionen zusammen sind und mit ihnen leben, sind Sie nicht glücklich. Sie werden nie glücklich sein, wenn Sie mit neurotischen Emotionen leben. Man muss sich auf jeden Fall anstrengen, aufpassen und gewissenhaft darauf achten, destruktive Emotionen zu beseitigen. Das war also der dritte Teil, der darin besteht, Gewissenhaftigkeit zu entwickeln, indem man über die neurotischen Emotionen nachdenkt.

Diese drei Themen - Gewissenhaftigkeit in Bezug auf das, was erreicht werden soll, Gewissenhaftigkeit in Bezug auf das Nachdenken über die kostbare menschliche Geburt und Gewissenhaftigkeit in Bezug auf das Nachdenken über das, was beseitigt werden soll (die neurotischen Emotionen) - machen das gesamte vierte Kapitel des Weges des Bodhisattva aus. Der dritte Punkt ist sehr detailliert und erörtert viel mehr, als ich erklärt habe, aber dies ist ein Abriss. In Zukunft können Sie den Grundtext und die Kommentare dazu lesen, um alle Einzelheiten zu erfahren.

Auf diese Weise haben wir in der Tat großes Glück, ein menschliches Leben zu haben, egal welche Form dieses menschliche Leben hat, ob als Frau, als Mann, ob wir gesund oder krank, reich oder arm sind, was auch immer. Wir sind sehr begünstigt, haben sehr viel Glück. Das Beste ist, dem Leben einen Sinn zu geben, indem man sich so viel wie möglich in einer spirituellen Disziplin, einem spirituellen Weg, anstrengt. Das ist das Größte, das Allerbeste. Selbst wenn man nicht viel Energie und Zeit aufwenden kann, ist es sehr, sehr gut, einfach ab und zu zu praktizieren und nicht nachzulassen. Das Wichtigste und Entscheidendste ist Freundlichkeit, eine positive Einstellung und gute und edle Gedanken. Das ist sicherlich das, was einem selbst und anderen am meisten nützt. Wenn man das nicht hat, kann man schnell verschwinden vom Weg.

Auch wenn es dir nicht gut geht, du krank oder deprimiert bist, ist es normal, dass du denkst, dein Leben sei bedeutungslos, und dass du verzweifelt bist. Das menschliche Leben ist sehr wichtig und hat eine große Bedeutung, unabhängig davon, ob man glücklich und gesund ist oder nicht, denn es gibt keine Situation, in der man nie unglücklich ist, es gibt keine menschliche Situation, in der man nie verzweifelt ist. Es ist also ganz natürlich, dass man sich manchmal schlecht fühlt und leidet, aber wenn man den Wert des Lebens erkennt und wirklich in Harmonie mit den Lehren, mit den Lehren des Dharma ist, dann kann man seinem Leben mehr Bedeutung verleihen.

Wir haben in Amerika besonderes Glück, denn vor 50 oder 100 Jahren hatten sie noch nicht einmal vom Buddha oder dem Dharma gehört; die Amerikaner wussten nicht, dass der Buddha gesprochen und diese Lehren dargelegt hatte. Jetzt haben wir diese außergewöhnliche Bedingung und Möglichkeit. In meinem Fall ist es fast wie Stolz, denn in Tibet sind alle Buddhisten, Väter und Mütter, alle glauben an den Dharma. In Ihrem Land ist das nicht so, denn der Buddhismus ist neu und anders. Ihr habt ihn wirklich untersucht und betrachtet, ihr habt die Lehren erforscht und seid zu dem Schluss gekommen, dass ihr euch auf sie verlassen könnt. Das ist die Art von Vertrauen, die sehr stark und sehr zuverlässig ist, sie ist fest und unerschütterlich. Das ist ein großes Glück, deshalb ist es sehr gut, wenn man den Dharma so oft wie möglich anwendet.

Das war eine sehr kurze Erklärung des vierten Kapitels von "Bodhicharyavatara - Der Weg des Bodhisattva". Wenn Sie noch Fragen haben, stellen Sie sie bitte.

 

Fragen und Antworten

Schüler: Ich bin etwas verwirrt darüber, wie man mit Mitgefühl gegenüber Feinden arbeitet, denn wenn man sich nicht auf Emotionen verlassen sollte, warum sollten wir uns dann um die Emotionen unserer Feinde kümmern?
Übersetzer: Mit anderen Worten, wir sollten uns nicht darum sorgen, sie wütend zu machen, weil das nicht etwas Bestimmtes ist? Können Sie Ihre Frage anders formulieren?
Student: Ich habe das Gefühl, dass wir uns nicht um unsere eigenen Emotionen kümmern sollten, aber wir sollten uns um die Emotionen anderer kümmern.
Thrangu Rinpoche: Das ist einfach. Wir erkennen unsere eigenen reaktiven Emotionen als unsere Feinde. Für den menschlichen Feind entwickeln wir Mitgefühl. Warum? Weil dieser Mensch seinen eigenen Feind, seine eigenen reaktiven Emotionen, nicht als Feind erkennt. Sie sind also verwirrt, weil sie nicht erkennen, wer ihr Feind ist. Sie denken, dass wir die Feinde sind, also sind sie völlig verwirrt. Wir sollten also Mitgefühl für sie haben, weil sie ihre wahren Feinde nicht erkannt haben.

Eine Frage: Rinpoche, könnten Sie über die Beziehung zwischen Maitri und den Kleshas sprechen? Ich glaube, ich bin verwirrt. Sollten wir die kleshas nicht als etwas betrachten, das wir - Es war sehr klar, dass wir ihnen gegenüber aggressiv sein sollten, also sind maitri und die kleshas? Das ist verwirrend.
Thrangu Rinpoche: Maitri ist Liebe, meinst du also Liebe zu dir selbst?
Student: Ja.
Rinpoche: Nun, nein, so ist es nicht. Du musst sorgfältig darüber nachdenken. Wenn du zum Beispiel auf die Emotion des Ärgers reagierst, wenn du dein Ärger bist, dann bist du das, und du musst freundlich zu dir selbst sein. Das ist nicht so. Gestern warst du vielleicht wütend und heute bist du es nicht. Wenn es etwas ist, das kommt und geht, dann gehört es nicht wirklich zu den Bestandteilen deines Selbst - es ist etwas anderes als du selbst. Wenn es etwas anderes ist, dann hat es nichts mit dem wahren Selbst und dem Mitgefühl zu tun. Es ist nicht so, dass du dich nicht selbst lieben würdest, wenn du deine Emotionen als deine Feinde betrachtest.

Schüler: Meine Feinde sind auch sehr intelligent. Offensichtlich müssen sie Zugang zu denselben Dingen haben wie meine Weisheit. Ich würde gerne herausfinden, wie ich etwas schneller dorthin gelangen kann? Wenn ich meine Aggression untersuche, scheint es, als gäbe es auch eine Menge Intelligenz und eine Menge Voraussicht und Zusammenhänge, die ich noch nicht vollständig verarbeitet habe. Irgendwie scheint es so, als ob man diese Emotionen überwinden könnte, indem man die Qualitäten dessen, was von der ersten oder anderen Seite kommuniziert wird, klarer erkennt.
Übersetzer: Wenn Sie also erkennen, was die negativen Emotionen mitteilen, wäre das ohne Weisheit?
Student: Nicht ganz. Wie ich schon sagte, scheinen sie ziemlich intelligent zu sein. Es muss also eine Art von Unwissenheit in meinem gewöhnlichen Geist herrschen, wenn ich diese Intelligenz sehe, wenn ich verletzt werde.
Rinpoche: Nun, es gibt nicht wirklich eine Übereinstimmung darüber, dass neurotische Emotionen Weisheit sind. Was passiert, ist, dass, wenn widrige Umstände und Bedingungen eintreten, die neurotischen Emotionen auftauchen und du unter ihrer Macht stehst, du dich diesen Emotionen völlig hingibst, du selbst keine Kontrolle oder Freiheit hast. Zum Beispiel taucht plötzlich und sehr schnell Wut auf, und ohne darüber nachzudenken, handelt man danach, und fast immer sind die Handlungen schädlich, schmerzhaft, falsch oder führen zu weiteren Problemen. Wenn negative Umstände dazu führen, dass man auf eine Art und Weise handelt, die schlecht oder falsch ist, dann sagen wir nicht, dass es Intelligenz oder Weisheit hat - wir nennen das nicht weise. Das Problem ist, dass man nicht erkennt, was vor sich geht, und deshalb keine Kontrolle über die Situation hat. Wir sagen also nicht wirklich, dass neurotische Emotionen Weisheit besitzen.

Schüler: Nein, aber wenn man sie untersucht, dann ist da eine Art von Intelligenz vorhanden.
Übersetzer: Können Sie ein Beispiel nennen?
Studentin: Ja, wie eine Mutter, die sich über ihr Kind ärgert, wenn es mit dem Feuer auf dem Gasherd spielt. Ihre erste Reaktion ist es, wütend zu sein, aber dahinter steckt die Weisheit.
Rinpoche: Eigentlich würden wir das nicht als Wut oder Hass bezeichnen. Ich meine, es erscheint als Wut, aber in Wirklichkeit steckt Liebe, Freundlichkeit und Zuneigung für das Kind dahinter, um es zu beschützen. In diesem Fall steckt zwar eine Menge Weisheit in dieser Handlung, aber es ist kein Zorn.
Schüler: Mit Zugang zu geschickten Mitteln würde die Mutter sicher gerne lernen, das zu sagen oder mit dem Kind zusammen zu sein, ohne in die extreme Emotion gehen zu müssen?
Rinpoche: Wenn es die zerstörerische Emotion des Zorns oder des Hasses wäre, dann wäre die Mutter glücklich, wenn das Kind im Feuer verbrennt, und dann würde sie nicht wütend werden.

Ein Schüler: Es scheint, dass das Gegenmittel für reaktive Wut der Abwehrhaltung Geduld ist. Wenn das so ist, was ist ein guter Weg, damit umzugehen?
Übersetzer: Das beste Gegenmittel für Wut?
Student: Ja, Geduld und wie wird man damit fertig?
Rinpoche: Es gibt eine ganze Reihe von Anleitungen zu den Gegenmitteln für Ärger. In diesem Buch gibt Shantideva ausschließlich ein Gegenmittel, nämlich Gewissenhaftigkeit, indem er sagt: "Sei aufmerksam und sei vorsichtig." Aber es gibt noch viele andere Gegenmittel, die für verschiedene Situationen gegeben werden. Es gibt eines, das darin besteht, Reue über den eigenen Ärger zu entwickeln, das Gegenmittel der Reue, bei dem man denkt: "Das ist schlecht. Ich sollte nicht wütend sein. Wut ist schlecht", und so weiter. Dann gibt es noch das Gegenmittel, bei dem man eine wütende Reaktion hinauszögert oder aufschiebt. Normalerweise sind unser Ärger und unsere Reaktion sofort da, aber man kann dem irgendwie Raum geben, so dass es nicht stattfindet. Dann gibt es die Shamata-Meditation und die Erlangung geistiger Kontrolle, die Beruhigung des Geistes und die Erlangung einer gewissen Kontrolle; dann kann man im Grunde den Ärger unterdrücken, weil man die geistige Kontrolle hat und nicht reagiert. Dann gibt es noch die Einsichtsmeditation und die Einsicht, dass alle neurotischen Emotionen im Grunde leer sind und keine essentielle Essenz haben, eine Entität zu sein. Es gibt also eine Menge Unterweisungen zu diesem Thema, aber Shantideva wollte dich auch Gewissenhaftigkeit und Achtsamkeit lehren.

Ein Schüler: Ein Lehrer, den ich einmal hatte, sagte, dass man besonders in Bezug auf Wut ein bisschen vorsichtig sein muss, 100 % negativ zu sein, weil wir in einer menschlichen Welt leben und Menschen mit diesem Apparat ausgestattet sind. Es ist eine Form des Schutzes, so wie eine Katze knurrt: "Wraaaarrrrr". Auch bei einigen anderen Fragen habe ich den Eindruck, dass es hier um viel mehr geht. Es ist eine Frage des Ausmaßes, es ist eine Frage der Dauer, und es ist eine Frage der Absicht. Wenn Sie Jesus Christus wären, bräuchten Sie sich darüber keine Gedanken zu machen, denn großes Mitleid würde sie umwerfen, aber für uns gewöhnliche Menschen hier scheint es mir eine einseitige Anweisung zu sein.
Übersetzer: Sie wollen also damit sagen, dass es natürlich ist, so etwas zu haben?
Student: Nein, wenn du nicht den ganzen Tag mit Wut herumläufst und niemand dich ärgert, dass du "Wraaaaarrrr" sagst, dann ist das vorbei, das wissen sie-. Ich habe Schwierigkeiten zu sehen, dass, wenn du dich nicht daran festhältst und sie sich nicht daran festhalten, alle damit einverstanden sind, was passiert, wo ist dann das Problem?
Rinpoche: Es ist wichtig zu unterscheiden, was Wut und Hass eigentlich sind. Oft ist das, was als Wut erscheint, nicht wirklich Wut, wie bei der Mutter und dem Kind; es mag wie Wut und Hass aussehen und sich so anfühlen, aber in Wirklichkeit ist es nicht so. Manchmal kann das, was wie ein Akt des Zorns aussieht, tatsächlich nützlich sein. Es gibt eine bekannte Geschichte, nach der Buddha in seinem früheren Leben Kapitän eines Handelsschiffes war, das zu einem Ort segelte, der wegen der vielen Juwelen "Juweleninsel" genannt wurde. Die 100 Kaufleute machten sich auf den Weg, um sie zu holen. Eine wirklich böse Person auf dem Schiff wollte alle anderen töten und machte langsam ein Loch in das Boot, so dass es sinken würde. Der Kapitän wusste, was da vor sich ging, und dachte: "Das ist nicht gut, denn 100 Kaufleute werden sterben. Außerdem wird die Person, die vorhat, sie zu töten, ein negatives Karma haben und dadurch sehr leiden." Also dachte der Hauptmann, dass es eine bessere Idee wäre, den Kerl auf den Kopf zu schlagen, ihn zu töten, um die 100 Kaufleute zu retten und die böse Seele davon abzuhalten, ihre negativen Handlungen auszuführen. Und so geschah es dann auch. Es sieht so aus, als sei dies eine sehr gewalttätige Handlung, aber in Wirklichkeit war es Mitgefühl. Und sie wurde vom Buddha ausgeführt. In einigen Tantras gibt es zum Beispiel zornige Dharma-Beschützer, die wirklich grausam aussehen. Aber ist das Haß? Ist das Aggression? Nein. Eigentlich ist es Mitgefühl, ein Gesicht des Mitgefühls.

Widmung

Durch diese Güte möge Allwissenheit erlangt werden
Und möge dadurch jeder Feind (geistige Verunreinigung) überwunden werden.
Mögen die Wesen aus dem Ozean des Samsara befreit werden
der von den Wellen der Geburt, des Alters, der Krankheit und des Todes aufgewühlt ist.

Möge ich durch diese Tugend schnell den Zustand des Guru-Buddhas erlangen, und dann
jedes Wesen ohne Ausnahme zu eben diesem Zustand führen!
Möge kostbares und höchstes Bodhicitta, das noch nicht entstanden ist, jetzt so sein,
Und möge kostbares Bodhicitta, das bereits entstanden ist, niemals abnehmen, sondern ständig zunehmen!

Möge das Leben des glorreichen Lamas unerschütterlich und fest bleiben.
Mögen Frieden und Glück für die Wesen entstehen, die so grenzenlos (in ihrer Anzahl) sind wie der Raum (in seiner Ausdehnung).
Mögen ich und alle Lebewesen ohne Ausnahme, nachdem sie Verdienste angesammelt und Negativitäten gereinigt haben
rasch die Ebenen und Gründe der Buddhaschaft erlangen.

Möge das Leben des glorreichen Lamas unerschütterlich und fest bleiben.
Mögen Frieden und Glück für die Wesen entstehen, die so grenzenlos (an Zahl) sind wie der Raum (in seiner Ausdehnung).
Mögen ich und alle Lebewesen ohne Ausnahme, nachdem sie Verdienst angesammelt und Negativitäten gereinigt haben
rasch die Ebenen und Gründe der Buddhaschaft erlangen.

Foto von Ven. Thrangu Rinpoche mit freundlicher Genehmigung von Katrin Norbu aus Stuttgart. Transkribiert und leicht bearbeitet von Gaby Hollmann, München, 2001, bearbeitet für die Website von Karma Chang Chub Choepel Ling im Jahr 2008. Möge die Tugend zunehmen! Übersetzt ins Deutsche von Johannes Billing2023