Rede in McLeodGanj, Dharmasala
Auszüge aus der Rede S.H., dem Dalai Lama,
am 21. August in
seinem Kloster in McLeodGanj, Dharmasala.
Alle, die wir hier zusammengekommmen sind, haben enge karmische Verbindungen,
sind Lehrer und Schüler mit reinem spirituellen Band. Daher ist dies eine
wunderbare Gelegenheit, die ich zutiefst schäze und für die ich allen danke.
Es gibt nicht viel zu sagen, aber ich möchte gerne Hallo sagen.

Ich wurde über den Anlaß Ihres Zusammentreffens informiert. Alles sieht sehr
gut aus, sieht wunderbar aus. Gleich als Karmapa Rinpoche und ich das erste
Mal zusammentrafen, sagte ich, daß wir, die ältere Generation (der
buddhistischen Lehrer) jetzt beginnen sollten, unsere Verantwortung an die
Jüngeren abzugeben. Ich selbst bin jetzt Mitte sechzig. Auch hohe Lamas
können nicht Unsterblichkeit erlangen. Sogar der Buddha sprach dies aus - daß
sein Körper weiterhin der Vergänglichkeit unterworfen ist.

Seit die Chinesen nach Tibet gekommen sind, hat sich vieles geändert. Wir
sollten immer das Beste hoffen, aber uns auf das Schlimmste vorbereiten. Auch
wenn ich für Tibet voller Hoffnung bin - wenn die Verbesserungen weitere 20
Jahre brauchen werden, reicht meine Lebenszeit dafür nicht aus. Daher sollte
die jüngere Generation Verantwortung übernehmen.

Von einem relativen Gesichtspunkt aus gibt es (im tibetischen Buddhismus)
vier große Schulen - Nyingma, Sakya, Kagyüpa und Gelugpa. Es ist wichtig,
daß wir uns vergegenwärtigen, daß wir im Augenblick eine sehr kritische Zeit
durchleben (...) und daß wir uns alle auf die grundlegende Qualitä der Lehre
Buddhas ausrichten sollten: den Lebewesen zu helfen. Unabhängig davon,
welcher Schule wir angehören, sollten wir studieren, praktizieren, die
Anleitungen in unserem täglichen Leben anwenden. So wird es möglich sein,
Buddhas Lehre zu bewahren. Aber dies wird nicht in wenigen Tagen oder Monaten
gelingen, dafür brauchen wir Jahre.

Daher ist es auch außerordentlich wichtig, daß Karmapa Rinpoche zunächst die
Ãœbertragungen und Einweihungen empfängt, dann Meditationsrückzüge machen,
praktizieren kann. Dadurch wird er zu einem erleuchteten, großen Lehrer
werden. Aber auch wir alle, alle Dharmafreunde sollten uns in in der gleichen
Weise ausrichten - studieren, die Lehren verinnerlichen und im täglichen
Leben anwenden.

Wenn wir über Dharmazentren sprechen, entstehen manchmal falsche
Vorstellungen über die Bedeutung der Vereinigung oder des Vereins, dem sie
angehören. Es ist wichtig zu verstehen, daß ihre Hauptaufgabe ist, die
buddhistische Lehre zu bewahren und zum Blühen zu bringen, daß wir dafür
täglich praktizieren müssen. Entsprechend unserer geistigen Fähigkeiten
sollten wir darüber nachdenken und praktizieren.

Ich habe es immer als höchst wichtig angesehen, daß wir unseren Geist
disziplinieren und überall da, wo wir leben, eine Umgebung schaffen, die frei
von Schädigendem und erfüllt ist von Frieden. So können wir dazu beitragen,
daß das Dharma blüht und anderen Lebewesen geholfen wird. Manchmal besteht
die Gefahr, daß Dharmazentren zu sehr die Organisation betonen, statt das
tägliche Studium und die Ãœbung.

Was jetzt den Sitz Karmapas angeht, so war ich darüber von Anfang an in
ständigem Kontakt mit der indischen Regierung. In Tibet ist sein Hauptkloster
Tsurphu, daher ist es im Exil das Kloster Rumtek und logischerweise ist es
das Recht Karmapa Rinpoches, seinen Hauptsitz zu beziehen. Aber die indische
Regierung hat ihre eigenen Regeln. (...) Aufgrund vieler Bedingungen war es
Karmapa Rinpoche bisher nicht möglich, nach Rumtek zu ziehen.

Aber wahr ist, daß er aufgrund seiner eigenen Entscheidung nach Indien kam.
Es war nicht so, wie gelegentlich behauptet wird, daß die tibetische
Exilregierung da ihre Hand im Spiel hatte, ihn "gekidnappt" häte. Es gibt
keine Grundlage für irgendwelche Zweifel an der Echtheit seiner Flucht.
Leider ist er immer noch nicht formell als Flüchtling anerkannt.

Aufgrund seiner Bedeutung (als religiöser Führer) ist es wichtig, daß er nach
Rumtek gehen kann. Und da er viele Schüler im Ausland hat, ist es auch
wichtig, daß er fremde Länder besuchen kann. Es gibt keine Grundlage dafür
anzunehmen, er wolle die Sikkimesen in chinesische Staatsbürger umwandeln.

Wir haben an den indischen Premier-, Innen- und andere Minister geschrieben,
zum großen Teil keine Antwort erhalten. Aber einer der Minister hat die
Bedeutung des Themas erkannt.
(...)
Es ist außerordentlich wichtig, klar die notwendigen Maßnahmen zu kennen.
Wenn man die Realitä einer Situation nicht versteht, entstehen unnötige
Probleme daraus. Das war sogar zu Zeiten Buddhas so. Auch Marpa, ein
hochqualifizierter Lehrer, galt vielen als "streitsüchtig", Milarepa wurde
nur als "Bettler" gesehen.

Auch in Tibet fehlte oft dieses wirkliche Verstehen. Es gab Kämpfe zwischen
übergeordneten Lamas. Das setzt sich leider auch im Exil fort - zwischen
Schulen, (sogar) innerhalb von Schulen und Familen. In menschlichen
Gemeinschaften geschieht dies ganz natürlich.

Aus meiner eigenen Erfahrung als religiöser Führer und als Privatperson
während der letzten 41 Jahre im Exil finde ich es sehr wichtig, immer ehrlich
und aufrichtig zu sein. Auch wenn es unnötiges Gerede gibt und Menschen
versuchen, Mißverständnisse zu schaffen. ... Dennoch - versuchen Sie, den Weg
der Gewaltlosigkeit zu gehen, kein Doppelspiel zwischen Reden und Handeln
einzugehen.

Die chinesische Regierung mit all ihrer Macht muß die Welt immer belügen.
Wenn man sich nicht auf Aufrichtigkeit gründet, kann man nicht bestehen,
egal, wie machtvoll man ist. Wenn Sie in Ihrem täglichen Leben aufrichtig
sind, nichts zu verbergen haben, müssen sie kein Doppelspiel führen.

Es ist ganz natürlich, daß Sie als Schüler von Karmapa Rinpoche besorgt sind,
wenn Sie unangenehme Dinge hören - dies geschieht aufgrund ihres Vertrauens
und ihrer Hingabe. Aber wenn Sie die richtige Einstellung annehmen und
richtig handeln, können alle Probleme gelöst werden. Sie können entspannt
sein, alles wird gut gehen. (...)

Gleich zu Beginn, als Karmapa nach Indien kam, war es meiner Meinung nach
sehr wichtig, daß er einen guten Lehrer bekommt. Ich fand Thrangu Rinppoche
dafür sehr geeignet und teilte meine Auffassung den höheren Lehrern mit, die
zustimmten. Thrangu Rinpoche wollte zuerst diese Aufgabe nicht annehmen, was
ich gut verstehen kann, da er damit die Hälfte seiner Freiheit verliert. Er
stimmte aber schließlich zu.
(...)
Was das Verfassen von Poesie angeht, ist Karmapa Rinpoche viel besser als
ich, ein alter Mönch. Ich bin auch sehr von seinem philosophischen
Verständnis angetan, das er in seinen Gedichten ausdrückt.
Während der Kalachakra-Einweihung traf ich einen sehr brillianten jungen
Tulku und fragte ihn, was er studiere. Er sagte, einen rituellen Text. Ich
entgegnete ihm, es sei viel besser, wenn er einen der bedeutenden
philosophischen Texte von Nagarjuna, Chandrakirti oder Maitreya lernen würde,
das sei von viel größerem Nutzen.

In unserer heutigen Situation im Exil, aber auch in Tibet, ist es
außerordentlich wichtig, daß spirituelle Meister fähig sind, die Lehren
Buddhas eloquent einzuführen. (...) Daher sollten die jungen Inkarnationen
von Kalu Rinpoche und Dilgo Khyentse Rinpoche diese hauptsächlichen Lehren
lesen und verstehen, nicht nur Rituale.

Buddhismus beinhaltet alle Lehren zu Grundlage, Weg und Frucht. Wenn man die
Grundlage nicht versteht, kann man den Weg nicht anwenden. Daher sollte man
die Gewohnheit des Studierens annehmen. Dies hat auch Buddha gelehrt.

Manchmal sieht es so aus, als wäre das Studieren und Praktizieren nur noch
die Aufgabe einfacher Mönche, während die höheren Lamas auf hohen Thrönen
sitzen, Hüte tragen und schöne Ritualgegenstände benutzen. Aber das ist
falsch. In Tibet hat man mir auch eine Trommel geschenkt, die mit schönen
Juwelen geschmückt war. Aber all das hat keine Bedeutung, und ich habe es
daher späer weggelassen. Wir sollten nicht nur unseren Wohlstand
demonstrieren, sondern uns ein Beispiel nehmen an Nagarjuna, dem Buddha
selbst folgen oder dem Vorbild des großen Praktizierenden Milarepa. Was hatte
er in seiner Höhle außer einer zerbrochenen Schale? Und wir denken immer noch
an ihn aufgrund der Aufrichtigkeit seiner Praxis.

Rituelle Praktitken kann man als Nebenübungen aufnehmen. Als Atisha das erste
mal nach Tibet kam, kamen ihm die Lamas hoch dekoriert und auf Pferden
reitend entgegen - er versteckte sich vor ihnen und zeigte sich erst wieder,
als sie von ihrem Roß abstiegen.

(An dieser Stelle ergriff Karmapas attendant Trulnak das Wort und dankte dem
Dalai Lama leidenschaftlich für die Unterstützung und Bestäigung Karmapas,
betonte noch einmal, was Karmapa aufs Spiel gesetzt hatte, um nach Indien zu
kommen: daß er sein Leben riskierte, alles zurückließ, sein Kloster, seine
Mönche, seine Familie. Es sei Karmapas ureigene Entscheidung gewesen, zu
fliehen. Er lasse sich von nichts und niemandem beeinflussen und soll gesagt
haben, daß wenn es nicht möglich gewesen wäre, noch 1999 fliehen, es keine
weitere Chance gegeben häte. Der Mönch bat den Dalai Lama nochmal
eindringlich, alles in seiner Macht stehende zu tun, um Karmapa auch
weiterhin zu unterstützen.
Er wies auch auf das Damzig, die gute spirituelle Verbindung des Dalai Lama
bereits mit dem 16. Karmapa hin - daß S.H., der Dalai Lama vor vielen Jahren
für einige Zeit in Tsurphu war, dort eine lange Einweihung gab, er (der
attendant) sei damals noch ein kleiner Junge gewesen, erinnere sich aber noch
ganz genau. Dalai Lama bestäigte diesen Besuch. Die Ãœbersetzung seiner
abschließenden Worte liegt mir leider nicht vor.)

Anschließend wurden Kataks überreicht und Gruppenphotos gemacht - von den
Heiligkeiten Dalai Lama, Karmapa, allen versammelten Lamas der Linie und uns,
den Delegierten aus 37 Ländern.